Müde © 2025 Kay Roedel
Elias saß auf seinem Bett, den Kopf gesenkt, die Schultern schwer wie Stein. Seine Hände lagen auf seinen Knien, geöffnet, als hätte er längst aufgehört, etwas festzuhalten – zu viel war durch sie hindurchgeronnen. Sein Atem war langsam, mühsam, als koste ihn jede einzelne Bewegung Kraft. Er war müde. Nicht die Art von Müdigkeit einer schlaflosen Nacht. Sondern eine, die in den Knochen sitzt, im Herzen, in der Seele. Eine, die ihn von innen heraus aufzufressen schien. Denn Elias war nicht wie andere. Er fühlte, was alle Menschen auf dieser Welt fühlten. Jedes Lachen, jedes Glück erfüllte ihn für einen kurzen Moment mit Licht. Doch das Licht wurde immer wieder von Dunkelheit verschluckt. Von Schmerz, Hass, Wut. Von Angst, Einsamkeit, Hoffnungslosigkeit. Die Verzweiflung der Welt strömte unaufhörlich in ihn, und er konnte nichts dagegen tun.
»Ich kann nicht mehr, Samuel…« Seine Stimme war kaum mehr als ein Hauch, rau und müde. »Es ist zu viel. Zu viel Schmerz. Zu viel Bosheit. Ich spüre es, jeden Tag, jede Sekunde. Ich trage es mit mir, und ich kann es nicht ablegen.« Seine Finger krampften sich zusammen, als würde er sich an der letzten Kraft festhalten, die ihm geblieben war. Doch es war nicht genug.
Samuel saß ihm gegenüber, stumm, seine Hände zitterten. Er sah Elias an – sein Gesicht, das von einer Müdigkeit gezeichnet war, die kein Schlaf der Welt heilen konnte. Und er wusste, dass es keine Worte gab, die das lindern konnten.
Elias hob langsam den Blick. Seine Augen waren feucht, aber keine Tränen fielen mehr. Er hatte längst aufgehört, zu weinen. »Ich bin so müde, Samuel.« Seine Stimme zitterte, ein leiser Schatten all dessen, was er einst war. »Müde, Menschen zu sehen, die einander zerstören. Müde, all den Schmerz zu fühlen, den sie sich zufügen. Ich kann ihn nicht aufhalten … ich kann ihn nur mittragen.«
Samuel schluckte schwer. Die Luft im Raum fühlte sich dicker an, als würde sie unter dem Gewicht von Elias’ Last erdrückt. Und in diesem Moment verstand er: Elias war nicht einfach nur erschöpft. Er war gebrochen von einer Welt, die ihn mehr brauchte, als sie es verdiente.
Geschrieben am 28. Februar 2025.
Erschienen am 07. April 2025