Willkommen im Armageddon

Kurzgeschichte

Band 1, Ausgabe 1

Erschienen am 04. Mai 2024

(c) 2024 Kay Roedel

 

Willkommen im Armageddon

In dem kleinen, beschaulichen Ort Neu-Eschaton, der sich malerisch zwischen sanften Hügeln und dichten Wäldern Bayerns schmiegte, war das Leben stets ruhig und ungestört verlaufen. Die Nachricht, die an jenem Samstag im April 2024 über alle Kanäle verbreitet wurde, ließ jedoch eine Welle der Verwirrung durch die Gemeinde gehen. Eine Einladung zu einem fröhlichen Treffen in der örtlichen Sporthalle, ohne jegliche Erklärung – das hatte es noch nie gegeben.

Die Familie Berger, bestehend aus Vater Johann, Mutter Helga und ihren beiden Kindern, Max und Anna, saß beim Frühstück, als die Nachricht auch ihr Zuhause erreichte.

"Was meinst du, Johann? Ist das irgendein Scherz?" fragte Helga, während sie skeptisch die Zeitung beiseitelegte. 

Johann zuckte mit den Schultern, "Vielleicht eine Überraschung der Gemeinde? Wir werden es herausfinden."

Max und Anna, beide im Teenageralter, tauschten aufgeregte Blicke aus. Ein Abenteuer lag in der Luft. Am Sonntagabend fand sich fast der gesamte Ort in der Sporthalle ein. Die Stimmung war eine Mischung aus Neugier und leichter Anspannung. Pünktlich um 18:05 Uhr schloss sich die Tür der Halle mit einem leisen Zischen. Ein gleißend helles Licht erfüllte den Raum, und im nächsten Moment fanden sich alle Anwesenden schwebend im Orbit auf einem Raumschiff wieder. Die Bergers hielten sich fest umschlungen, ihre Augen weit aufgerissen vor Staunen.

"Sind wir...?", begann Anna, doch ihre Worte gingen in einem kollektiven Raunen unter, als die Menschenmenge langsam zu der riesigen Fensterfront des Raumschiffes strömte.

Dort, vor dem unendlichen Schwarz des Weltraums, zeigte sich ein Bild, das keiner von ihnen je vergessen würde. Ein Komet, umhüllt von einer Aura aus flammendem Rot und Orange, raste auf die Erde zu. Seine Größe war unvorstellbar, und er schien mit jedem Herzschlag näher zu kommen. Die Erde, ihr Zuhause, lag friedlich da, unwissend von der drohenden Katastrophe. Mit einem gewaltigen, erdrückenden Knall traf der Hallesche Komet auf die Erdoberfläche. Eine Schockwelle aus Staub und Feuer breitete sich aus, gefolgt von einem Sturm, der die Atmosphäre zu verschlingen schien. Die Menschen auf dem Raumschiff, die Bürger von Neu-Eschaton, standen stumm da, ihre Gesichter bleich, ihre Augen gefüllt mit Tränen und Unglauben. Johann Berger, ein Mann der Wissenschaft, flüsterte leise: "Das ist das Ende... unser Armageddon."

Helga hielt ihre Kinder fest, als wolle sie sie vor der grausamen Wahrheit schützen, die sich vor ihnen entfaltete. Max, der immer von den Sternen geträumt hatte, fand keine Worte für das, was er sah. Anna, die Jüngste, schluchzte leise: "Warum wir? Warum wurden wir gerettet?"

Stunden vergingen, in denen die Bewohner von Neu-Eschaton Zeugen des Untergangs ihrer Welt wurden. Als das Licht des Kometeneinschlags allmählich nachließ und die Erde zu einem traurigen, verwüsteten Ort wurde, begannen die Menschen zu verstehen. Sie waren auserwählt worden, nicht wegen ihrer Tugenden oder ihrer Sünden, sondern durch einen Zufall des Schicksals. Auf dem Raumschiff, das nun ihr neues Zuhause war, mussten sie lernen, zusammenzuleben, zu trauern und schließlich zu hoffen. Denn in der Dunkelheit des Alls, fernab der zerstörten Erde, wartete vielleicht ein neuer Anfang auf sie.

Wochen waren vergangen, seit die Bewohner von Neu-Eschaton Zeugen des Untergangs ihrer Welt geworden waren. Das Raumschiff, das sie durch die Weiten des Alls trug, war zu einem Symbol der Hoffnung geworden. Die Gemeinschaft hatte sich nicht nur angepasst, sondern auch gelernt, in diesem neuen Zuhause zu gedeihen. Johann Berger, der einst als Wissenschaftler nach Antworten in den Sternen gesucht hatte, fand nun Trost in der Aufgabe, seine Mitmenschen zu leiten und zu lehren. Helga, die immer das Herz der Familie gewesen war, kümmerte sich um diejenigen, die Trost brauchten, und half dabei, ein Gefühl der Normalität aufrechtzuerhalten. Max und Anna, die Kinder, die zu jungen Erwachsenen herangewachsen waren, entdeckten ihre eigenen Wege, um zur Gemeinschaft beizutragen.

Eines Tages, als die Familie Berger zusammen in der Beobachtungslounge des Schiffes saß, trat ein älterer Mann zu ihnen. Er war einer der Ältesten des Dorfes und hatte in den letzten Wochen an Bedeutung gewonnen.

"Ich habe euch etwas zu zeigen", sagte er mit einem Lächeln, das Falten in sein Gesicht zeichnete. Er führte sie zu einem abgelegenen Teil des Schiffes, wo eine große Leinwand aufgestellt war.

"Was ist das?", fragte Anna neugierig. Der Älteste aktivierte einen Schalter, und plötzlich erhellte sich die Leinwand mit Bildern von grünen Landschaften, fließenden Flüssen und blauem Himmel.

"Das", sagte er, "ist unsere neue Heimat." Die Bilder zeigten einen Planeten, der der Erde ähnelte, aber unberührt und voller Leben war.

"Wir haben ihn gefunden", fuhr der Älteste fort. "Ein Planet in einem Sonnensystem, nicht allzu weit von hier. Er ist bewohnbar, und wir können dort ein neues Leben beginnen."

Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch das Schiff, und bald versammelten sich alle Bewohner, um die Bilder ihrer zukünftigen Heimat zu sehen. Es gab Tränen der Freude und Umarmungen des Glaubens an eine neue Zukunft.

In den folgenden Monaten bereitete sich die Gemeinschaft von Neu-Eschaton auf die Ankunft auf ihrem neuen Planeten vor. Sie planten und träumten von dem, was kommen würde. Als das Raumschiff schließlich in die Umlaufbahn des Planeten eintrat, blickten alle mit einem Gefühl der Ehrfurcht und Erwartung auf die Welt hinunter, die sie bald ihr Zuhause nennen würden.

Die Geschichte von Neu-Eschaton endet hier, aber das Leben der Menschen, die einst dort lebten, beginnt gerade erst. Sie hatten das Armageddon überlebt und waren bereit, auf einem neuen Planeten von vorne zu beginnen. Ihre Reise war ein Beweis für die Widerstandsfähigkeit und den unerschütterlichen Geist der Menschheit. Und so, während das Raumschiff auf die Oberfläche des neuen Planeten hinabstieg, wussten die Bürger von Neu-Eschaton, dass sie Teil einer größeren Geschichte waren – einer Geschichte von Verlust, aber auch von Hoffnung und Neuanfang.

 

Ende